Marco, der ZVEH präsentierte im April die neusten Zahlen zur Ausbildung 2024, die zum zehnten Mal in Folge stiegen. Wie ordnest du als Teil dieser Branche diese Zahlen ein?
Marco Herwartz: Ich persönlich sehe das als positives Zeichen, weil es zeigt, dass das Elektrohandwerk ein sehr attraktives Handwerk ist. Dazu sind wir ein sehr innovatives Handwerk und arbeiten vermehr als Klimaschützer und Fortschrittmacher! Das sorgt dafür, dass wir bei jungen Menschen auch gut ankommen.
Es sind vor allem aber auch gute Zahlen, weil wir uns bewusst sein müssen, dass wir einen demografischen Wandel erleben. Nach der Schule sagen die jungen Menschen oftmals, sie möchten erst mal das Abitur machen. Nach dem Abitur ist der normale Weg erst mal Richtung Studium. All die jungen Menschen werden oft darauf getrimmt, Abitur und Studium zu machen.
In den 90er Jahren waren es gerade mal 15 % der Schulabgänger, die Abitur gemacht haben. In der heutigen Zeit sind es in NRW über 50 %. Und das ist erst mal eine Masse, die man verkraften muss. Das geht natürlich nicht nur zulasten des Elektrohandwerks, sondern allgemein in der beruflichen Ausbildung. Aber deswegen ordne ich die Zahlen fürs Elektrohandwerk positiv ein, dass wir immer noch steigende Zahlen haben, obwohl immer mehr junge Menschen das Abitur machen.
Jetzt wäre es gefährlich, sich als Verband und Dachorganisation des Handwerks auf solche Zahlen auszuruhen. Wie kann man dafür sorgen, dass diese Zahlen weiterhin positiv bleiben? Kannst du das zunächst aus Verbandssicht einmal einordnen?
Marco: Wir müssen die Ausbildung attraktiv halten, um dafür junge Leute zu gewinnen. Im Prinzip sind es zwei Punkte, mit denen man viel bewegen kann. Das eine ist die Kommunikation.
Wenn ich dir nie von einer bestimmten Sportart erzähle, wirst du nie davon erfahren und dann wirst du dich auch aus Eigeninteresse nie dafür interessieren. Ganz so schlimm ist es mit der Berufsausbildung bei den Elektrohandwerken natürlich nicht – man weiß zumindest, dass es uns gibt. Aber die Ausrichtung ist häufig Abitur. Das bedeutet, wir müssen ganz viel nach draußen gehen und Werbung für die berufliche Bildung und Werbung für unsere fünf Gewerke im Elektrohandwerk machen. Und diese Werbung, die wird ganz stark unterstützt vom Zentralverband der Elektrohandwerke und von der ArGe Neue Medien in Frankfurt. Die haben wunderbare Informationsbroschüren, Plakate, Flyer, Roll-ups, Giveaways usw. Also ganz viel Material, das wir Unternehmen dafür nutzen können, Werbung zu machen, Auszubildende auf uns und auf unseren Beruf aufmerksam zu machen. Das machen die für uns als Ausbildungsbetrieb, was ich persönlich als sehr positiv erachte.
Der Verband engagiert sich überall dort, wo man öffentlich wirksam Werbung für das Elektrohandwerk machen kann. Z.B. auch durch Social Media-Beiträge, bei denen wir als Handwerker oftmals gar nicht so gut sind. Es gibt ebenfalls viele Influencer, die gute Werbung für das Handwerk machen. Auch ein unheimlich wichtiger Punkt, über das Handwerk zu sprechen und sichtbar zu sein.
Der zweite Punkt ist, dass der Fachverband die Nähe zur Politik sucht, um darüber zu sprechen, was in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist, wie sich der Markt entwickelt hat, und dazu Vorschläge unterbreitet. Dass sich der Markt für die berufliche Bildung negativ entwickelt hat, das ist mittlerweile jedem klar, denn es fehlt nicht nur an Elektrikern, sondern auch an Pflegekräften und anderen Berufsgruppen, für die eine Ausbildung nötig ist. Aber eben auch an Elektrikern, und das sind die Leute, die wir gerade massiv brauchen, wenn wir uns überlegen, dass wir die Energiewende vor der Brust haben und die auch schaffen wollen.
Brechen wir das Thema jetzt auf die Handwerksbetriebe herunter, denn dort müssen die Ausbildungsverträge dann geschlossen werden? Wie sieht es bei dir im Betrieb aus? Wie geht ihr auf Auszubildende zu?
Marco: Also bei uns im Unternehmen ist es tatsächlich so, dass wir nicht wirklich Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu finden. Wir haben regelmäßig Praktikanten, denen wir einen Einblick in das Gewerk geben, aber auch einen Einblick in unser Team. Nicht jeder Elektroinstallationsbetrieb gleicht dem anderen. Alles ist komplett unterschiedlich. Der eine ist mehr Richtung Privatkunden ausgerichtet, der andere mehr Richtung Gewerbekunden. Der eine macht Satellitenanlagen, der andere die Netzwerktechnik und der dritte die KNX-Anlagen. Von daher ist das alles sehr individuell. Und so geben wir den Praktikanten die Möglichkeit, den Beruf, aber auch unser Team kennenzulernen.
Wir gehen in Schulen. Wir hatten jetzt erst wieder eine Berufsmesse an einer Schule hier in der Nähe. Und dann geht unsere Systemintegratorin Nora mit einem Auszubildenden gemeinsam auf so eine Berufsmesse und macht dort Werbung. Für das Handwerk natürlich, aber eben auch Werbung für uns. Denn die jungen Schüler können sich bei einer Berufsmesse ausprobieren, die bauen dann zum Beispiel kleine Bauteile zusammen. Ich finde, das ist ein wichtiger Punkt, dass man etwas anfassen kann. Wenn das Interesse geweckt ist, liegt es auch nahe, dass die dann auch bei uns ein Praktikum machen.
Um noch mal auf das Thema Abitur und Ausbildung zurückzukommen: Das schließt sich ja nicht aus – das muss auch in die Köpfe. Aber es gibt Handwerksbetriebe, die sagen: Ich stelle gar keinen mit Abi ein, die gehen nach ihrer Ausbildung dann doch ohnehin direkt in die Industrie. Wie nimmst du das wahr? Ist das wirklich ein Problem?
Marco: Ja, ich kann die Sorge tatsächlich verstehen. Ich muss gestehen, dass ich das früher genauso sah, aber dann andere Erfahrungen gemacht habe. Bei uns sind mittlerweile bis auf eine Auszubildende alle Abiturienten. Zwei von denen haben sogar ein Studium abgebrochen und machen jetzt bei uns eine Ausbildung. Und die, die ihre Ausbildung bei uns beendet haben und Abitur hatten bzw. ein Studium absolviert oder abgebrochen hatten, die sind immer noch bei uns. Die sehen die Entwicklungsmöglichkeiten und das Potenzial, das man in unserem Beruf haben kann, und die Entwicklungsmöglichkeiten, die vor allem das Elektrohandwerk hat. Dazu gehört auf der einen Seite natürlich, dass man sich überhaupt weiterentwickeln möchte. Auf der anderen Seite gehört es aber natürlich dazu, dass der Ausbildungsbetrieb einem auch die Weiterentwicklungsmöglichkeiten gibt.
Wir sollten auch dazu mal auf die Bewerberauswahl eingehen. Hast du da Tipps, wie man überhaupt an die spannenden Bewerber kommt?
Marco: Ich glaube, dass es von Vorteil ist, wenn man von sich aus schon technikaffin ist und das in seinem Alltag auch auslebt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass eben viele junge Menschen diesen Bereich gar nicht kennen. Wenn sie ihn nicht kennen, können sie nicht einschätzen, ob ihnen das Spaß macht oder nicht.
Wer sich bewirbt, der legt in der Regel einen Lebenslauf, ein Anschreiben und das Zeugnis von der Schule beim potenziellen Arbeitgeber vor. Ehrlich gesagt, ich lege das auf die Seite. Ich gucke nur auf die Adresse und die Kontaktdaten, und dann wird derjenige, der sich beworben hat, angerufen und zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Und dann hat man einen ersten persönlichen Eindruck. Mir geht es darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob mich ein Kandidat interessiert, weil er zu unserem Team passt und weil er den Eindruck erweckt, dass er wirklich Interesse an Technik und am Job hat. Ich stelle dann ein paar gezielte Fragen. Dabei erwarte ich gar nicht, dass die Fragen richtig beantwortet werden. Ich schaue mir nur an, wie er auf diese Fragen reagiert und wie er versucht, die Fragen zu lösen und zu beantworten. Also technisch im Kopf zu denken. Und dann schlage ich vor, dass er bei uns ein Praktikum macht, meistens für eine Woche. Denn das Team muss mit dem Bewerber zurechtkommen und umgekehrt. Am Ende des Praktikums kommt er dann wieder in mein Büro und dann stelle ich dieselben Fragen nochmal. Und wenn ich merke, dass er die Antworten darauf zügiger oder vielleicht auch direkt richtig parat hat, dann ist das für mich schon mal ein Indiz, dass er es sich entweder gut gemerkt hat oder aber gut im Kopf verknüpfen kann. Und das ist für mich wirklich maßgebend. Denn wenn wir etwas mit Leidenschaft machen, wenn wir etwas gut machen, wenn wir etwas machen, was uns wirklich interessiert, dann haben wir aufgrund unserer Vorgeschichte schon bestimmte Denkmuster und bestimmte Informationen abgespeichert, auch wenn sie noch nie etwas mit dem Elektrohandwerk zu tun hatten.
Das ist für mich tatsächlich viel, viel wichtiger als ein Zeugnis aus der Schule.
Gute Herangehensweise! Jetzt interessiert es mich aber doch, kannst du mal beispielhaft eine Frage nennen, die du deinen Bewerbern stellst?
Marco: Eine Frage ist zum Beispiel der Satz des Pythagoras. Ein ganz einfaches Beispiel, bei dem ich weiß, es ist egal, ob derjenige im Gymnasium war, in der Realschule, der Gesamtschule oder auf der Hauptschule. Der Satz des Pythagoras wird überall durchgenommen. Und eine Frage lautet: Kennst du den Satz des Pythagoras? Wie lautet der Satz des Pythagoras? Und wo, glaubst du, könnte man ihn im Elektrohandwerk bei der Installation verwenden?
Und es ist ganz spannend, was da für Antworten herauskommen. Manche können sich noch grob daran erinnern. Der ein oder andere sagt: Ich kann mich an den Lehrer erinnern. Es sind aber auch ein paar dabei, die den Satz noch wissen. Und nochmal: Ich bewerte das überhaupt nicht, ob einer den Satz kennt oder nicht kennt. Die Frage ist, ob er ihn am Ende der Praktikumswoche versteht – weil wir relativ oft mit dem Satz des Pythagoras arbeiten. Obwohl er nicht wirklich sichtbar ist, hat er jedoch immer wieder mit unserer Technik oder mit der Installation zu tun. Und am Ende der Woche, wenn der Praktikant den Satz des Pythagoras kann, dann ist das für mich immer ein Zeichen dafür, dass etwas hängen geblieben ist.
Noch eine Nachfrage: Also ich habe das jetzt so verstanden, dass du auch gar keine Bewerber-Gruppen großartig ausblendest oder nicht ansprichst? Wenn sich z.B. Frauen bewerben oder Leute mit Migrationshintergrund bzw. Zuwanderer bewerben. Dann haben die auch die Chance, sich bei dir einfach zu zeigen und zu gucken, ob das passt?
Marco: Ja, selbstverständlich. Warum sollte ich denn irgendeine Gruppe ausschließen? Es geht doch darum, dass ich ein gutes Team brauche, das qualifiziert ist, das gut miteinander arbeitet, das gute Leistung bringt und das vor allen Dingen glücklich in seinem Job ist und einen Beruf wirklich mit Leidenschaft ausübt. Und da ist es doch völlig egal, ob das ein Zuwanderer, eine Frau oder ein Mann ist. Ob jemand lange Haare oder kurze Haare hat oder groß oder klein ist. Es kommt doch nicht aufs Geschlecht an, sondern auf die Kompetenzen.
Wir haben eine Auszubildende, die jetzt fertig ist – Nora ist jetzt Gebäudesystemintegratorin. Und wir haben eine Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr. Ich werde nie vergessen, wie es war, als Nora die Ausbildung bei uns angefangen hat. Da war ein Kollege skeptisch, ob das so sinnvoll ist, eine Frau auf dem Bau zu haben. Und dann habe ich gesagt: Kümmere dich mal nicht darum, dass das eine Frau ist, sondern darum, dass dieser Mensch Interesse hat, diesen Beruf zu erlernen, und dass du jemanden hast, um ihn zu einer Fachkraft auszubilden. Er sagte dann: Ja, ich gebe mein Bestes. Irgendwann wollte Nora dann so einen Hilti-Koffer hochheben, und er sagte: “Lass mal, ich nehme den schon.“ Dann habe ich ihn zurückgeholt und gefragt: „Was machst du da?“ Er meinte, der sei ja viel zu schwer für sie. Wenn das jetzt ein Junge gewesen wäre, der hätte genauso wenig Muskulatur gehabt, diese schweren Maschinen zu tragen. Die Muskulatur und die Körperstatur müssen sich doch erst mal aufbauen. Die muss trainiert werden. Und das fängt an mit dem Schleppen des Koffers. Und das hat auch ganz gut geklappt. Nora wird heutzutage besser schwerere Maschinen in der Hand halten und länger damit arbeiten können, als ich das noch kann, weil ich mittlerweile mehr im Büro sitze, als auf dem Bau zu sein.
Hast Du noch Tipps für andere Elektrobetriebe, die sich vielleicht ein bisschen schwerer tun, Auszubildende zu gewinnen?
Marco: Ja, klar, das, was ich eben schon gesagt habe: Kommunikation, Außendarstellung und Werbung. Geht an die Schulen und sprecht mit Schülerinnen und Schülern. Nehmt die jungen Leute aus eurem Betrieb zum Beispiel mit auf die Berufsmessen, in die Schulen, mit in die Werbung und lasst sie für euren Betrieb sprechen. Das ist in meiner Wahrnehmung nach das beste Mittel, junge Menschen für den Beruf und für eine Firma zu begeistern.
Marco, zum Abschluss: Wir adressieren ja hier eigentlich gezielt Elektrohandwerker. Aber warum eignet sich, jetzt mal an potenzielle Bewerber gerichtet, aus deiner Sicht ein Beruf im Elektrohandwerk für den Start ins Berufsleben? Was ist deine Message an junge Menschen?
Marco: Das Elektrohandwerk ist sehr vielfältig. Man hat die Möglichkeit, Reparaturen an Geräten zu machen. Man hat die Möglichkeit, Installationen beim Kunden zu machen, im Neubau. Wir arbeiten an der Energiewende. Die Arbeit selbst wird uns niemals ausgehen, und wir sind so vielfältig, dass für jeden irgendetwas dabei ist.
Junge Menschen haben sich vor einigen Jahren dazu entschlossen, Fridays for Future zu gründen und zu demonstrieren. In meinen Augen kann man gerne demonstrieren gehen und danach mithelfen, die Energiewende voranzutreiben, indem man mit anpackt und Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur und Energiemanagementsysteme installiert.
Das ist ein sehr schöner Abschlusssatz! Danke für das Gespräch.
Marco Herwartz betreibt einen Elektroinstallationsbetrieb mit einem gut 15-köpfigen Team, der selbst ausbildet. Spezialisiert ist der Fachbetrieb auf intelligente Gebäudetechnik, Ladestationen für Elektromobilität und PV-Anlagen. Marco ist ehrenamtlich Vizepräsident des Fachverbandes Elektro- und Informationstechnische Handwerke Nordrhein-Westfalen (FEH NRW).
Das komplette Interview mit Marco Herwartz mit weiteren spannenden Ansätzen findest Du beim Podcast #64 der E-Show im Handwerker Radio:
Marco Herwartz und warum die Ausbildung im Eektrohandwerk boomt!
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